Muhammed Said Abdullas schriftstellerische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Mißständen.


Eingangs der Ausführungen ein Zitat aus dem zweiten Bwana Msa Krimi, 'Der Brunnen von Giningi':


„Hör zu, Seif,“ setzte Bwana Msa erneut an, „jedermann kann eine schwarze Magie gegen einen anderen richten und damit Erfolg haben. Bedenk nur eines: Unsere Eltern und die Leute unseres Alters - wir alle, ob wir wollen oder nicht, glauben an Zauberei und Dämonen. Die europäische Erziehung, die wir erhielten, und der moderne Lebensstil, die kommen nur von oben, unten aber, an unserem Stamm und an unseren Wurzeln, sitzen die Idee und die Angst vor Dämonen und also auch vor Zauberei. Unsere Alten, die noch mit Dämonentrommeln in der Runde saßen, einander mit Trommelei behandelten und Blut von Ziegen und Kühen tranken sowie noch andere Gebräue - sie sind unzählig viele, und sie sind bis heute noch in jenem Glauben verhaftet.
Selbst unsere Generation - persönlich erinnere ich mich noch sehr gut, dass ich, als ich klein war, nicht eher nach draußen gelassen wurde, als bis ich ein Band mit nicht weniger als fünf verschiedenen Talismanen um meinen Hals gelegt hatte. Und sobald mir nur das geringste Anzeichen einer Erkältung anzumerken war, schmierte mir meine Mutter das ganze Gesicht mit Ruß ein, dass nur die Augen frei blieben. Das ist die elterliche Erziehung, mit der wir groß wurden, und für einige Eltern und ihre Kinder gilt sie noch heute. Dies war das Fundament unserer häuslichen Erziehung,
bis wir jene europäische erhielten, die solchen Dingen nicht vertraut. Zwar rühmt sich unsere Generation inzwischen, dass wir nicht an Zauberei glauben und nicht an Dämonen, doch was nützt es? Der Glaube an diese Dinge ist uns ins Blut übergegangen, und wenn wir betonen, dass wir ihn ablehnen, dann tun wir das nur an der Oberfläche.“


Obwohl die Krimis von Muhammed Said Abdulla bereits in den 60er bis 80er Jahren des 20. Jahrhunderts verfasst wurden, sind sie von anhaltender Aktualität: Auch heute noch ist der kulturelle Kontext, in denen sie spielen, vom Kontrast zwischen Tradition und Moderne geprägt. Auf der einen Seite stehen die überlieferten Bräuche, Sitten und Verhaltensweisen, auf der anderen die 'importierte' Bildung, Aufklärung und Wirtschaftsform.


Muhammed Said Abdulla, der sich neben seiner journalistischen und schriftstellerischen Tätigkeit als Essayist einen Namen gemacht hat, war sich dieser Ambivalenz in der afrikanischen Gesellschaft bewußt. In der Figur Bwana Msas, dessen Name sich nicht ohne Grund aus den Initialien seines Schöpfers zusammensetzt, findet Muhammed Said Abdulla in seinen Krimis ein Sprachrohr dafür. Der Detektiv selbst, gebildet, belesen und westlich orientiert, ist der Spannung, die in seiner Umgebung steckt, gewahr. Sie stellt nur einen dünnen Firnis dar, diese westliche Bildung. Eine erst in den letzten Generationen übergestülpte Denkweise, die es mit den althergebrachten Einstellungen der einfachen Bevölkerung nur schwer aufnehmen kann, wenn es 'ans Eingemachte' geht:
Geht ein Examen daneben, ist ein Unglück geschehen, dann mangelt es nicht an Stimmen, die dahinter Hexerei verorten. Fällt eine Ernte schlecht aus oder erkrankt jemand plötzlich und unerwartet, kann auch schon mal mangelnder Respekt gegen die Ahnengeister der Vorfahren als Ursache des Übels angesehen werden.


Für den Gebildeten muss es schwer erträglich sein, sich diesem Zustand fast tagtäglich ausgesetzt zu sehen. So versucht er, mittels seiner Romane seinen Unmut zur Sprache zu bringen. Da die Werke Muhammed Said Abdullas zunächst noch in der Kolonialzeit, später in der nachrevolutionären Phase Sansibars erschienen, war direkte Kritik an politischen Verhältnissen nicht opportun. Schließlich wollte der Autor seine Arbeit nicht verlieren, nicht seine Freiheit und erst recht nicht sein Leben, wie es seiner Familie in der Revolution widerfuhr. So verlegte er seine Anspielungen auf Rückständigkeit und Mißstände in den kulturellen Bereich. Nicht, dass er das Alte, Überlieferte grundweg verdammte. Doch übertrieben gelebte Tradition, wie etwa der Glaube, dass die Ahnengeister einen ihnen nicht opfernden Menschen zu Tode kommen lassen können oder das Vertrauen in schwarze Magie, die anderen Schaden zufügen soll, lehnte er ab. Damit wies er der Gesellschaft in der Frühzeit der Unabhängigkeit auch eínen Weg in die Zukunft: Emanzipiert euch, geht einen Schritt auf die neue Welt zu, die euch nun gegenüber steht. Vergesst dabei nicht eure Wurzeln. Aber lasst euch nicht von Dingen leiten, die wider den gesunden Menschenverstand gerichtet sind.


Vielleicht hoffte er, dass durch verbesserte Bildung und Aufklärung der Bevölkerung ein anderer Geist auch in die gesellschaftlichen Debatten und politischen Entwicklungen seiner Heimat getragen würde. Fast ist man gewillt, in Muhammed Said Abdulla einen Parteigänger Kants zu erkennen: Sich seines eigenen Verstandes zu bedienen und aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit herauszukommen, muss das höchste Ziel bleiben. Nicht nur in Sansibar. Nicht nur in Afrika. Sondern überall. Für uns alle.